Über das Enterische Nervensystem, Reizdarm, Parkinson, Akkupunktur, Hypnose, das Mikrobiom und seine Wirkungen auf das Verhalten
Vorwort
Der folgende Text ist inspiriert von einem ARTE-Beitrag mit dem Titel „Der kluge Bauch – Unser zweites Gehirn“. Ich habe an zahlreichen Stellen zitiert, ergänzt und erweitert. Den Link zum YouTube Video finden Sie am Ende des Beitrags unter Quellen&Tiefen. ARTE Der kluge Bauch – Unser zweites Gehirn.
Das Nervensystem unseres Darmtraktes
UUnser Magen-Darm-Trakt ist mit einem eigenen Nervensystem ausgestattet. In ihm kümmern sich Milliarden verbundener Neuronen um zehntausende Bakterien. Die nehmen Einfluss auf unsere Stimmung, unsere Persönlichkeit und unseren Gesundheitszustand.Unser Bauch enthält ebenso viele Nervenzellen wie das Gehirn eines Haustiers. Aufregung schlägt auf den Magen, Verliebte haben Schmetterlinge im Bauch, unangenehmes liegt schwer im Magen und wir treffen Entscheidungen aus dem Bauch heraus.
Unsere Darmwand ist mit 200 Millionen Nervenzellen überzogen. Sie verteilen sich über die gesamte Länge unseres Verdauungskanals und ermöglichen uns zu verdauen.
Der Verdauungsvorgang ist erstaunlich kompliziert. Er lässt sich schwer im Labor reproduzieren. Um die Nahrung in winzige Teile aufzuspalten, die der Organismus aufnehmen und für den Betrieb des Körpers verwenden kann, brauchen wir eine Vielzahl von Nerven.
Unsere beiden Gehirne haben vieles gemeinsam, evolutive Entwicklung
Das obere Gehirn ist das Zentrale Nervensystem. Das untere ist das Enterische Nervensystem. Die Bezeichnung zweites Gehirn ist nicht richtig. Ursprünglich bestanden die primitiven Mehrzeller aus einem Verdauungskanal, aus dem sich das Enterische Nervensystem entwickelte.
Wenn sie die Zeit zurückdrehen zeigt sich, dass die Evolution unser Kopfgehirn schuf, um unsere Ernährung zu verbessern. Gleichzeitig bildeten sich Augen und Ohren heraus und erleichterten die Nahrungssuche. Ohne diese Arbeitsteilung würde bis heute unsere gesamte Energie darauf verwendet zu verdauen, zu verdauen und zu verdauen.
Der entscheidende Wendepunkt dieser spektakulären Entwicklung unseres Gehirns ist mit einer technischen Neuerung verbunden, der Zähmung des Feuers. Vor 15 Millionen Jahren erfand der Homo Gaster das Grillen. Das Garen ist eine Art von Vorverdauung und so verbrauchen wir weniger Energie für diese körperliche Anstrengung. Damit gewinnen wir mit geringerem Aufwand das 16 fache an Energie.
Da das erste Gehirn gut funktionierte, konnte sich ein zweites entwickeln. Das war nicht selbstverständlich, hat sich aber bewährt. Das Braten hat physiologische Grenzen gesprengt. Jetzt stand viel Energie für die Entwicklung eines größeren Gehirns zur Verfügung.
Während der Homo Gaster anfangs noch ein Gehirnvolumen von 700 bis 800 Kubikzentimetern besaß, wuchs das Gehirn im Laufe mehrerer hunderttausend Jahre weiter. Am Ende hatte es ein Volumen von bis zu 1500 oder 1600 Kubikzentimeter, bei gleich gebliebener Körpergröße.
Dank unseres großen Gehirns denken wir heute an anderes als an unseren Bauch. Mit dem einen Gehirn denken, mit dem anderen verdauen wir. Theoretisch ist das eine klare Aufgabenteilung. Doch die Realität ist komplizierter.
Die beiden Gehirne kommunizieren
Erstens sind unsere beiden Nervensysteme über den Nervus Vagus verbunden und ständig in Kontakt. Und zweitens nutzen Gehirn und Bauch dieselben Neurotransmitter.
Die Stoffe mit denen die Neuronen miteinander kommunizieren heißen Neurotransmitter. Einer dieser Transmitter ist das Serotonin.
Im Kopfgehirn bedeutet Serotonin Wohlbefinden, im Bauch bestimmte es den Rhythmus unserer Darmtätigkeit und reguliert unser Immunsystem. Erstaunlicherweise wird 95 Prozent des Serotonins in unserem Körper im Magen-Darm-Trakt produziert. Es wird im Verdauungstrakt, sowie im Blut freigesetzt.
Im Gehirn wirkt es vor allem auf den Hypothalamus, einer Region die zur Steuerung unserer Gefühle beiträgt. Bauch und Gehirn kommunizieren ihre Botschaften über den Nervus Vagus. Das ist seit langem bekannt. Neu ist die Erkenntnis, dass das Serotonin, das mit dem Blut ins Gehirn gelangt, komplexe Auswirkungen auf unsere Gefühle hat.
Diese für den Bauch bestimmten überschüssigen Informationen, die im Gehirn nichts zu suchen haben, produzieren Missverständnisse. Wir wussten, dass sich unsere Gefühle auf den Bauch auswirken, jetzt zeigt sich, der Bauch beeinflussen unsere Gefühle ebenso.
Neue Forschungen der University of Illinois an Ratten zeigen nun, dass der Darm mit dem gesamten Gehirn durch bidirektionale Neuronen kommuniziert1Coltan G. Parker,Megan J. Dailey, Heidi Phillips, Elizabeth A. Davis Published: February 15, 2020 DOI:https://doi.org/10.1016/j.autneu.2020.102656, Central sensory-motor crosstalk in the neural gut-brain axis und dass das gesamte Gehirn über neuronale Verbindungen auf den Darm, insbesondere den Dünndarm, reagiert.
Die sensorischen und motorischen Bahnen der Darm-Hirn-Achse teilen sich gemeinsame Neuronen im Gehirn. In fast allen untersuchten Regionen waren etwa 50% der Darmhirn-Neuronen sensorisch-motorische Neuronen. Diese gemeinsamen sensomotorischen Neuronen existieren in Regionen des Hinter-, Mittel- und Vorderhirns. Zentrale Darm-Hirn-Neuronen, die nur sensorisches oder motorisches Feedback erhalten, wurden ebenfalls beobachtet.
Diese Daten bieten eine anatomische Grundlage für sensomotorische Feedbackschleifen in der Darm-Hirn-Achse. Das Ziel dieser Studie war es, die zentralen sensorischen und motorischen Schaltkreise, die mit der neuralen Darm-Hirn-Achse verbunden sind und mit einem Segment des Dünndarms in Verbindung stehen, umfassend zu charakterisieren.
Gestörte Kommunikation zwischen Bauch und Gehirn, das Reizdarmsyndrom
Normalerweise findet der Austausch zwischen Bauch und Gehirn unbemerkt statt.
Doch wie überall in der Wissenschaft gewinnen wir neue Erkenntnisse durch das Beobachten von Störungen. Das Reizdarmsyndrom ist ein krasses Beispiel für die Kommunikationsprobleme die zwischen Gehirn und Bauch auftreten.
Eine häufige Krankheit, die zehn Prozent aller Menschen befällt und starke Schmerzen im Bauchraum verursacht. Die Symptome sind Verdauungsbeschwerden, Bauchschmerzen und Störungen der Darmpassage.
Bei verschiedenen Untersuchungen wie Koloskopie, Gastroskopie oder Computertomografie sind keine organischen Ursachen zu finden. Diese Patienten sind verzweifelt, wenn die Ärzte ihnen mitteilen, dass sie nichts finden. Sie sagen, „ich leide, Herr Doktor, ich bin krank!“. Daher muss er ihn erklären, dass die Störung der Funktion beim Reizdarmsyndrom auf eine nicht normale Beziehung zwischen Gehirn und Verdauungstrakt zurückzuführen ist.
Vergleichen wir die neuronale Aktivität in der Schleimhaut gesunder Menschen mit der von Kranken. Die Neuronen kranker Menschen sind viel aktiver als die gesunder Probanden. Sie leiden an einem über-sensiblen Nervensystem, an einer Art Neurose des Darms.
Hypnose beim Reizdarm-Syndrom unter Tomografie-Bildgebung
Stress oder traumatische Erlebnisse lösen diese Krankheit aus.
Hypnose fördert die Adaption an den Schmerz. Die Patienten achten nicht mehr permanent auf den Schmerz und nehmen ihn weniger war.
Mithilfe der Hypnose wird das Gehirn analysiert. Es empfängt weiter dieselben Schmerzsignale, die jetzt durch die Hypnose erträglich sind. Wie dies funktioniert ist unklar. Tomografie-Bilder des Gehirns zeigen, wie die Hypnose auf Patienten mit Reizdarmsyndrom wirkt.
Wir wissen heute, dass wir diese, durch Schmerz aktivierten Hirnregionen, mit der Hypnose beeinflussen. Es ist nichts Spirituelles, sondern ein wirksames Schmerz-therapeutisches Verfahren der Neuroanatomie.
Werden Bauch- und Kopfgehirn von denselben Krankheiten befallen? Beispiel Parkinson Erkrankung
Die Gastro-Analyse wartet noch auf ihren Begründer. Doch die anatomische Ähnlichkeit zwischen unseren beiden Gehirnen ist groß. Die Forscher fragen sich ernsthaft, ob Bauch und Kopf nicht dieselben Krankheiten entwickeln. Dass die Ursachen für neurologische Leiden, wie die Parkinson Erkrankung (PE) oder Depressionen, eventuell in unserem Bauch liegen.
Die PE ist eine chronische und neurodegenerative Erkrankung, die etwa einen von 1.000 Menschen betrifft. Die ersten Anzeichen der Krankheit sind am häufigsten im Alter von 50-60 Jahren zu sehen.
Die PE zählt zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen weltweit. Sie geht mit Bewegungsdefiziten einher, wie dem Zittern von Armen und Beinen, langsamen Bewegungen sowie Muskelstarre, die zusammen mit anderen nicht motorischen Symptomen auftreten.
Kennzeichen dieser sich unaufhaltsam verschlimmernden Krankheit sind unter anderem neuronale Einschlüsse, sogenannte Lewy-Körperchen, die sich in verschiedenen Bereichen des menschlichen Gehirns ansammeln.
PE galt lange als Krankheit, die zum Absterben der Nervenzellen einer bestimmten Hirnregion führt, der sogenannten Substantia Nigra. Doch die Ärzte stellten fest, dass die Krankheit mit starken Verdauungsbeschwerden einhergeht. So kamen sie auf die Hypothese, dass die PE außer den Neuronen des Kopfgehirns, die in unserem Bauch befällt.
Forscher versuchten zu beweisen, dass die PE durch eine einfache Darmbiopsie diagnostizierbar ist. Im Biopsie-Material dieser Patienten fanden sich Nervenzellen mit denselben, für die PE typischen Schäden, wie sie im Zentralen Nervensystem auftreten.
Ein positives Ergebnis. Denn während eine Gehirnbiopsie für den Patienten ein hohes Risiko birgt, ist eine Darmbiopsie ungefährlich. Vielleicht sind in zwei bis drei Jahren diese Biopsien ein Teil der Diagnostik von Risikopatienten. Die Verdauungsbeschwerden treten 20 Jahre vor den ersten motorischen Störungen auf. Das ermöglicht eine frühzeitige Diagnose und eine frühere und wirksamere Behandlung der Krankheit.
Bei der PE erfährt das präsynaptische Protein Alpha-Synuclein (α-syn) pathologische Veränderungen, einschließlich Phosphorylierung und Aggregation, die zur Bildung der Lewy-Körperchen führen, die sich auch in Neuronen des Enterischen Nervensystems befinden. Als möglicher Auslöser der α-syn-Pathologie wurde eine Entzündung vorgeschlagen. Interessanterweise sind Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung und Reizdarmsyndrom, die mit einer gastrointestinalen Entzündung verbunden sind, einem höheren Risiko ausgesetzt, eine PE zu entwickeln. 2Colonic inflammation affects myenteric alpha-synuclein in nonhuman primates Henry Resnikoff et al. 2019-05 (Darmentzündung betrifft myenterisches Alpha-Synuclein bei nichtmenschlichen Primaten)
Eine weiter Studie bestätigt diesen Zusammenhang zwischen neurologischer und gastroenterologischer Pathologie 3Vagotomy and subsequent risk of Parkinson’s disease E. Svensson et al. 2015, Vagotomie und damit verbundenes Risiko für die Parkinson-Krankheit. Zwischen den 1970-1995er Jahren war das Durchrennen des gesamten Vagusnervs eine sehr verbreitete Methode der Ulkusbehandlung.
Bei einer Studie an etwa 15000 solcher Patienten wurde ermittelt, dass sich bei ihnen die Parkinson-Erkrankungsrate nach 20 Jahren halbiert hatte. Patienten, die nur einen kleinen Teil des Vagusnervs entfernt bekamen, waren jedoch nicht geschützt.
Das passt zu der Hypothese, dass der Krankheitsprozess stark von einem ganz oder teilweise intakten Vagusnerv abhängt. Über den ein enterischer, neurotropher Erreger in das Gehirn gelangt und dort seine Pathologie entfaltet. Ein Prozess, der über 20 Jahre dauern kann.
Noch im Oktober 2018 zeigten die Autoren zweier groß angelegter epidemiologischer Studien, dass eine Appendektomie, die Jahrzehnte zuvor stattfand, das Risiko einer Parkinson-Entwicklung reduzierte, was darauf hindeutete, dass der Appendix an der Parkinson-Initiation beteiligt sein könnte.4The vermiform appendix impacts the risk of developing Parkinson’s disease Bryan A. Killinger et al. Science Translational Medicine 31 Oct 2018 (Der wurmförmige Anhang beeinflusst das Risiko für die Entwicklung der Parkinson-Krankheit)
Allerdings produzierte die Wissenschaft ein Jahr später einen scheinbar konträren Befund: Anhand der Daten von 62,2 Millionen Parkinson-Patienten entdecken Forscher eine weitere Korrelation zwischen Enterischem Nervensystem und dem Gehirn, beziehungsweise zwischen Blinddarmoperationen und einem erhöhten Risiko für die Entstehung der PE. Der Analyse zufolge waren Patienten, denen der Blinddarm entfernt wurde, mehr als dreimal so häufig an Parkinson erkrankt wie diejenigen, bei denen dies nicht der Fall war. 5 Appendix removal associated with development of Parkinson’s disease (Appendix-Entfernung verbunden mit der Entwicklung der Parkinson-Krankheit)
Es gibt nun einen weiteren Widerspruch seitens der voranschreitenden Parkinson-Forschung: Am Gehirngewebe von verstorbenen Parkinson-Patienten wurde mit korrelativen Licht- und modernsten Elektronenmikroskopen gezeigt, dass die Lewy-Körperchen statt aus den erwarteten alpha-Synuclein-Fibrillen hauptsächlich aus Membranfragmenten von Mitochondrien und anderen Organellen bestehen und Lipide und anderes zelluläres Material enthalten. Fibrillen fanden sich nicht oder nur in verschwindend geringe Mengen. 6Lewy pathology in Parkinson’s disease consists of crowded organelles and lipid membranes Sarah H. Shahmoradian et al. Nature Neurosciencevolume 24 June 2019 (Die Lewy-Pathologie bei der Parkinson-Krankheit besteht aus überfüllten Organellen und Lipidmembranen) 7Neue Inhalte: Neuronale Parkinson-Einschlüsse sind anders als gedacht Reto Caluori Kommunikation und Marketing, Universität Basel idw 26.06.2019
Die Idee, den Bauch zu betrachten, um den Kopf besser zu behandeln, gewinnt allmählich mehr Anhänger. Jetzt stellt sich die Frage, ob sich diese Hypothese auf andere neurodegenerative Krankheiten übertragen lässt. Ich denke da an Alzheimer, an Autismus oder psychiatrische Diagnosen.
Bauch-Akupunktur
Heute wird Bauch-Akupunktur in Asien, Europa und den USA praktiziert. Damit erleben Patienten mit Parkinson, Alzheimer und Depressionen zum Teil einen Rückgang ihrer Symptome, ohne dass die westliche Medizin dies erklären kann. So akzeptieren wir, dass es eine energetische Anatomie gibt, die in den medizinischen Lehrbüchern nicht vorkommt.
Jeweils vor und nach einer Therapie mit Bauch-Akupunktur gefertigte MRT-Aufnahmen des Gehirns zeigten Unterschiede. Nach der Akupunktur war die Zahl der aktivierten Bereiche gestiegen. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Bauch-Akupunktur die kognitiven Funktionen verbessern und den Gefühlshaushalt regulieren kann.
Unser drittes Gehirn, das Mikrobiom
Unser Verdauungskanal ist von 100.000 Milliarden Bakterien besiedelt. In jedem von uns leben tausendmal mehr Bakterien als unsere Galaxie Sterne hat. Dieser Mikrokosmos im Makrokosmos ist das am dichtesten besiedelte Ökosystem der Erde. Wir haben 100-fach mehr Bakterien in unserem Bauch als Zellen in unserem Körper. Wir verfügen über mehr Bakterien-DNA als menschliche DNA. So sind wir also eine Art von Transporter für Bakterien.
Dieses Ökosystem bezeichnet die Wissenschaft als Mikrobiom. Jeder von uns trägt ein bis zwei Kilo Bakterien in sich. Sie erzeugen 30 Prozent unserer Kalorien. Da wir einen großen Teil unserer Nahrung nicht selbst verdauen übernehmen die Bakterien das für uns. Wir bieten den Bakterien Unterkunft und Nahrung und sie verwandeln unsere Nahrung in Energie.
Sie helfen uns zu ermitteln was giftig oder ungiftig für unseren Körper ist. Ohne Bakterien gibt es für uns kein Überleben. Das größte Immunsystem unseres Körpers befindet sich in unserem Darm. Eine Vielzahl von Bakterien bilden es aus. Diese informieren es über potenzielle Gefahren und halten uns in Alarmbereitschaft.
Da die Bakterien eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit spielen, ist es wichtig zu erforschen wie sie uns besiedeln.
Nach der keimfreien Umgebung im Bauch seiner Mutter besiedeln das Baby vom ersten Lebenstag an viele hundert Milliarden Bakterien. Die ersten Bakterien, die sich im Darm ansiedeln, wählen die weiteren Neuankömmlinge aus. Bis sich die Population stabilisiert und sich eine persönliche Signatur bildet, ähnlich wie ein digitaler Fingerabdruck.
Die Einnahme von Antibiotika durch Mutter oder Kind, ein Kaiserschnitt, Fläschchen statt Stillen oder übermäßige Hygiene, all dies mindert den Kontakt mit den Bakterien und ist schlecht für das Mikrobiom des Kindes.
Irgendwann in der Zukunft erhalten die Babys bei der Geburt die bestmögliche Flora, damit sie die richtigen Bakterien besiedeln. Später wird das ihr leben lang und insbesondere im Alter wiederholt werden, um ihr Mikrobiom zu stärken. Um das Rezept für das ideale Mikrobiom herauszufinden gilt es zu sehen, aus welchen Bakterien es besteht.
Das bakterielle Genom und die drei Enterotypen
2010 konnten die Forscher die Karte des bakteriellen Genoms des Menschen veröffentlichen. Ihr Katalog umfasst drei Millionen Gene. Die überraschendste Erkenntnis ist, dass sich die Menschen nach der mikrobiellen Population in ihrem Darm, in drei Gruppen einteilen lassen. Neben unserer Blutgruppe gehören wir einem von drei Typen der Darmflora, Enterotypen genannten, an.
Der Unterschied besteht in ihrer Fähigkeit Nahrung in Energie umzuwandeln. Alle drei produzieren Vitamine in unterschiedlicher Menge. Diese Typen haben nichts mit dem Wohnort, der Herkunft, dem Geschlecht oder dem Alter zu tun. Vielleicht gleicht ihr Enterotyp mehr dem eines Japaners als dem ihres Nachbarn. Wir wissen noch nicht wovon die Zugehörigkeit zu einem der Enterotypen abhängt. Derzeit erforschen die Wissenschaftler wie die vielen tausend Bakterien unseres Mikrobioms mit unserem Körper interagieren.
Langfristig möchten die Wissenschaftler klären, welche Rolle die Bakterien bei bestimmten chronischen Krankheiten spielen. An Blut- und Urinproben sind wir gewöhnt. Doch bald untersuchen die Ärzte unseren Stuhl und bestimmen die Komponenten unseres Mikrobioms. Das ist eine revolutionäre diagnostische Methode, mit der wir eine Disposition für Typ 2 Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Leberleiden feststellen. Einfach indem wir die Mikrobiome der Menschen analysieren.
Mikrobiom und Verhalten
Eine sterile, von Bakterien freie Maus, zeigt ein merkwürdiges Verhalten. Sie geht Risiken ein und ist waghalsig. Verabreichen wir diesen Mäusen Bakterien, ändert sich ihr Verhalten komplett und sie werden vorsichtig.
Bekommen aktive Mäusen das Mikrobiom von passiven Mäusen, zeigt sich, dass das Mikrobiom das Aktivitäts-Verhalten der Nager dirigiert. Die Experimente beweisen, dass das Mikrobiom das Gehirn beeinflusst.
Wer wir sind bestimmen nicht allein unsere menschlichen Anteile. Auch unsere Vorfahren, die Bakterien, die Millionen Jahre vor uns auf dieser Erde lebten, beeinflussen uns. Sie haben ein genetisches Repertoire erworben, das viel größer als unseres ist. Und wir haben entdeckt, dass die Bakterien beeinflussen, wie wir sind und was wir sind.
Interessant ist das Beispiel der Toxoplasmose. Wenn diese kleinen Parasiten Mäuse befallen, verlieren die ihre Angst vor Katzen. Einige Studien beschreiben, dass die Mäuse sich sexuell von Katzen angezogen fühlen. Wenn diese sie fressen, ist das im Interesse der Toxoplasmose-Erreger, in Katzen entwickeln sie sich gut.
Auch beim Menschen ließen sich Unterschiede im Verhalten nach Gabe von Probiotika feststellen. Eine aufregende Neuigkeit ist, dass sich mit einem einfachen Nahrungsmittel die Vorgänge im Gehirn verändern lassen.
Wissenschaftler raten angesichts dieser jüngsten Studien zur Vorsicht. Vor allem, weil die Nebenwirkungen der Bakterien noch unbekannt sind. Doch alle sind sich einig, dass sie nachweislich auf unsere Gesundheit und unser Gehirn wirken.
Wir können es nicht mehr leugnen, dass ein gewisser Teil des Inputs unseres Gehirns von Bakterien stammt. Das bedeutet nicht, dass wir von Bakterien kontrolliert werden. Aber sie haben auf jeden Fall Einfluss darauf, was wir sind, wie wir uns verhalten und wie wir reagieren.
Heute ist akzeptieren, dass wir ein drittes Gehirn besitzen. Wir haben das Kopfgehirn, dass Bauchgehirn und die Intelligenz der Bakterien.
Wir leben in einem bakteriellen Ökosystem, das uns durchdringt. Ein Teil der Trennung zwischen dem ich und der Außenwelt, von mir und den Anderen, ist aufgehoben. An ihrer Stelle sehen wir eine erstaunliche geologische Kontinuität.
Die Wissenschaft zeichnet ein neues Bild von unserem Körper. Was wir für die eigentliche Grundlage unserer Wirklichkeit halten, unsere Individualität, ist das Spiegelbild einer komplexeren Realität.
Die setzt sich im Wesentlichen aus wechselhaften Botschaften, Netzwerken und Verbindungen zusammen. Wir bestehen aus tausenden von Genen, Milliarden von Nervenzellen, vielen hundert Milliarden Bakterien und einer Vielzahl von Verbindungen und Informationen. Diese Komplexität übersteigt nach wie vor unsere Vorstellungskraft.
Lesen oder hören Sie auch: Meine Bakterien und ich – Der Mensch als Metaorganismus, DLF 30. Dez. 2018. Organismen pflegen rege Beziehungen zu Heerscharen von Mikroben. Ohne Mikroben sind auch wir nichts. Mikroben, zu denen Bakterien gehören, beeinflussen die Funktion des Körpers auf vielen Ebenen.
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Quellen und Tiefen
- 1Coltan G. Parker,Megan J. Dailey, Heidi Phillips, Elizabeth A. Davis Published: February 15, 2020 DOI:https://doi.org/10.1016/j.autneu.2020.102656, Central sensory-motor crosstalk in the neural gut-brain axis
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